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K&K25 – Leben im Re:START

Von TIMARU bis zu unserem nächsten Ziel CHRISTCHURCH müssten wir ca. 170km zurücklegen, sofern wir die direkte Verbindungsschnellstraße, dem SH 1 nähmen. Für „Eilige“ ist das bestimmt eine gute Lösung. Wir entscheiden uns für einen etwas längeren Weg, die „Inland Scenic Route“. Sie schlängelt größtenteils auf dem SH 72 bzw. SH 74 entlang der FOUR PEAKS RANGE, nördlicher dann der PUKETERAKI RANGE mit grün schimmernden Gipfeln um die 1.900m. Der übliche „Gorge“ fehlt natürlich auch nicht. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke, beim Ort WINDWHISTLE quält sich der ansonsten gemächlich, in breitem Flussbett dahinfließende RAIKAIA RIVER durch eine mehr oder minder enge Felsenschlucht.

Christchurch-Heile Welt
Christchurch-Heile Welt

Alles nichts Spektakuläres, aber angenehm anzuschauen. Und vor allen Dingen hält sich die Verkehrsflut auf dieser Nebenstrecke stark in Grenzen, um nicht zu sagen, man bleibt unterwegs so gut wie allein.

Also erreichen wir CHRISTCHURCH vom Westen her in der Nähe des internationalen Flughafens. Kurz und trocken beschrieben leben in der Stadt heute rund 340.000 Einwohner. Sie liegt in der Provinz Canterbury, womit wir auch gleich den Hinweis auf das Mutterland Großbritannien haben. Wie im englischen Bristol durchschneidet der AVON RIVER die Stadt. Sie gilt als die englischste Stadt Neuseelands, was besonders in der Architektur deutlich werden soll. Dem Besucher hingegen fallen eher die vielen Colleges auf mit den Studenten in streng traditionellen Studentenuniformen.

CC Re-START
CC Re-START

Mit Christchurchs Architektur ist es nämlich so ein Problem: Fast der gesamte Stadtkern wurde durch die beiden großen Erdbeben 2010 und 2011 stark zerstört. Besonders betroffen hiervon sind eben jene im englischen Stil geprägten und in der Stein-auf-Stein-Weise gebauten zahlreichen Gebäude, allen voran die zentrale Kathedrale am Cathedral Square. Die neue City wird sicherlich anders als historisch geprägt aussehen. Das erklärt die alles überlagernde Devise in der Stadt: Re:START.

CC-CityContainerMall
CC-CityContainerMall

So läuft man durch die Re:START MALL. Dabei handelt es sich um die ehemalige Fußgängerzone. Man hat sich nach dem 2011-Desaster schnell beholfen mit Containern. Sortiert wie eine Bonbontüte der Marke „Bunte Mischung“  bilden sie nunmehr übergangsweise die Einkaufszone. Und es herrscht wieder Leben in ihr!

CC-beschädigte Kathedrale
CC-beschädigte Kathedrale

Doch Geräusche und Gerüche in der Stadt sind andere als die,die man in Städten gewohnt ist. Kaum ein Surren von Linienbussen ist zu vernehmen. Das Hupen ungeduldiger Autofahrer fehlt fast völlig, nicht wegen stark ausgeprägter Rücksichtnahme, sondern eher mangels Masse an Fahrzeugen. Hierdurch kann sich der Besucher auch weniger Geruchsbelästigungen durch Autoabgase erfreuen.

Schnell ersetzt jedoch wird das „Fehlen des Gewohnten“: Es sind nicht die Riesenmenge an Touristen oder Einheimischen, die ins Auge fallen sondern die unzähligen Bauarbeiter.  Als Geräuschkulisse vernehmen wir das Surren von riesigen Baukränen, das Dröhnen von Presslufthämmern und das Hämmern von Spundwandrammen. Die Innenstadt ist eine einzige Großbaustelle. Re:START par excellence.

Gedenkstätte
Gedenkstätte

Umwirbelt wird deine Nase von Zementstaub und winzigen, grau-schwarzen Sandkörnern. Diese „Dust-Bowl“-Erscheinungen rühren her von den vielfältigen, kahlen Ruinenfeldern in der City. Der Bauschutt wurde weggeräumt, eine Neubebauung lässt aber noch auf sich warten. So ist Pressemitteilungen zu entnehmen, dass Stadt- und Distriktverwaltung intensiv versuchen, die Eigentümer darin zu bestärken, diese Kahlflächen entweder zu begrünen oder als geteerte Parkflächen herzurichten, um dem Übel Herr zu werden. Die „Leine der Freiwilligkeit“ soll dabei jedoch nicht bis ins Unendliche reichen. Als Autofahrer wirst du im Innenstadtbereich zum „Streckenspürhund“ ausgebildet. Navi nützt auch nichts mehr. Plötzlich steht du in einer Sackgasse, keiner regulären, sondern durch einen Bauzaun produzierten. Parkende Baufahrzeuge, die die Straße versperren, haben absoluten Vorrang. Die Stadtverwaltung kann offensichtlich gar nicht so schnell und so viele Umleitungsschilder aufstellen, wie sich die Situation tagtäglich verändert. Am besten, das Auto bleibt „draußen“. Es gibt ja Möglichkeiten per Bus zumindest in den mit einem großen Fest gerade eröffneten Busbahnhof „Bus Interchange“ zu gelangen. Bis in die City bleiben dann auch  nur noch 15 Minuten Fußweg.

Cardboard Cathedral
Cardboard Cathedral

185 Todesopfer hat das 2011-Erdbeben gekostet, davon allein 119 in einer Sprachenschule im Stadtzentrum. Wie es heißt soll Baupfusch die Ursache für den totalen Einsturz gewesen sein. Das Gebäude sei zusammengefallen wie übereinander gestapelte Eierkuchen  (collapsing like pancakes), erzählt uns ein Einheimischer. Als Erinnerungsstätte hat ein Künstler 185 weiße Stühle auf einem Ruinenplatz gleich neben der gewesenen Schule „installiert“. Vom Autokindersitz, über den Küchenstuhl, den Barhocker, den Lehn- und Gartenstuhl bis hin zum Rollstuhl symbolisieren sie das Fehlen eines geliebten Menschen: „Dieser Stuhl bleibt auf Dauer leer!“.

Re:START! Das gesamte Wiederaufbauprogramm ist auf rund 10 Jahre angelegt. Und selbst wenn es doppelt so lange dauert, der Elan und die Unverzagtheit dieser arg gebeutelten Stadt und ihrer Einwohner sind bewundernswert.

Es hieße, ein zu einseitiges Bild der gezeichneten Stadt abzubilden, kämen nicht auch die touristisch nach wie vor anziehenden Aspekte zu Wort. Manche sind vom Erdbeben nicht betroffen gewesen, manche rasch wieder hergestellt.

River Avon
River Avon

Am augenfälligsten präsentiert sich die historische Straßenbahn, die schon wieder ihre gemächlichen Runden zieht. Über 17 Stationen schaukelt sie durch die City. Auf ihrer Route wechseln Anblicke von Ruinenfeldern und Baustellen mit dem bunten Containerdorf, einem neu errichteten Einkaufszentrum, dem idyllischen Fluss Avon oder dem malerischen Botanischen Garten. Eine Stunde dauert die gesamte Rundfahrt, hop-on-hop-off ist angesagt. Als Zeichen wieder aufflammender touristischer Infrastruktur kann man sich romantisch in einer Gondel auf dem Fluss staken (punting) oder in der Elektrobahn durch den riesigen Botanischen Garten fahren lassen. Das benachbarte Canterbury Museum lohnt allemal einen Besuch. Ein preiswerter City Pass für den Besuch mehrerer Aktivitäten soll das Geschäft beleben. In ihm ist auch die Gondelbahn auf den 500m hohen Hausberg „Mount Cavendish“ incl. Busshuttle enthalten. Alles ein hoffungsvolles Zeichen eines Re:START!

Besonders effektiv hat nach der 2011-Katastrophe die Kirche reagiert. Ihre Kathedrale ist zerstört und die Reste von ihr sind nicht zu betreten.. Schnell wurde unweit des Cathedral Square eine neues Gotteshaus errichtet, die sogenannte „Transitional Cardboard Cathedral“. Sie bietet Platz für 700 Leute und wurde im August 2013 eröffnet. Als hauptsächliches Baumaterial besteht sie neben Containern als „Grundmauern“ aus gehärteten, riesigen Papprollen. Im Kirchenraum wirkt sie hell und lichtdurchflutet, ergänzt durch eine klare, nicht widerhallende Akustik, ein Meisterstück des japanischen Architekten Shigeru Ban.

Schnell errichtet wurde auch das besuchenswerte Museum „Quake City“, welches eindringlich und aufwühlend an beide Erdbebendesaster erinnert, in Wort, Foto, Videosequenzen und Trümmerteilen.

Antarctic Center
Antarctic Center

Überhaupt nicht tangiert von diesen Schicksalsschlägen blieb glücklicherweise eine große Attraktion der Stadt, das „International Antarctic Center“ in der Nähe des Flughafens. Einerseits widmet es sich der Erforschung der Eiswelt. Ein Ausstellungsschwerpunkt liegt auch auf dem Nachzeichnen der ersten Südpolexpeditionen von Scott und Amundsen. Der unterhaltsame Teil lädt ein zu einer rauen Fahrt im Schneekettentransporter „Huggland“, dem 4D-Extreme-Theater oder der Kältekammer mit Eissturm. Zum Aufwärmen kann man dann die Pinguinwelt besuchen.

Wir lassen noch einmal einen Einheimischen zu Wort kommen, der meinte: “Warum soll ein Tourist länger als einen Tag  Christchurch besuchen? Wir bieten ja nur vier Attraktionen: die Tram, die Gondola, den Botanischen Garten und den River Avon“. Wir erleben es anders!

Restart heißt es aus einer Stadt, in der die Menschen das Lächeln  offensichtlich verlernt haben. Restart mit einem beklemmenden Gefühl der Hilflosigkeit den Naturgewalten gegenüber. Restart für uns auf die südöstlich vorgelagerte BANKS PENINSULA. Der  SH 75 soll uns zum Badeort AKAROA bringen. Einmal das Häusermeer der Vororte von Christchurch verlassen, ändert sich die Landschaft schlagartig. Weite Strecken verdorrter, hügeliger Wiesen und Felder. Wie eine Fata Morgana spiegelt sich der LAKE ELLESMERE in der Sonne. In der brettflachen Ebene ist er kaum zu erkennen. Wer einmal die US Bundesstaaten New Mexico oder Arizona bereist hat, kann sich diesen Anblick gut vorstellen. Es fehlen lediglich die Kakteen. Einige Kilometer weiter grünt und blüht es dann wieder heftig. Und so wechseln die Vegetationsmöglichkeiten streifenartig wie ein Zebrafell je nach Ausrichtung dem Regen spendenden Meer zu- oder abgewandt.

Doch nicht nur die Landschaft wechselt, auch das kulturelle Erbe durch die europäische Einwanderung. Man glaubt sich in Frankreich. Bedingt durch eine ehemalige Siedlung französischer Einwanderer geschieht hier vieles zweisprachig, Straßenschilder, die Namen vieler Geschäfte oder der Gastronomie. Friedvoll gemütlich präsentiert sich das kleine Dorfzentrum, welches sich selbst als „un village côtier avec un petit air français / ein kleines Küstendorf mit einem Hauch französischen Flairs“ bezeichnet.

Akaroa Harbour
Akaroa Harbour

Touristisch augenscheinlich nicht überlaufen, bietet es sich an als Ausgangspunkt für Delphin-, Pinguin- und Seehundexkursionen. Die Chancen zur Beobachtung dieser Meerestiere sollen im langgestreckten AKAROA HARBOUR optimal sein. Vom stilvollen Leuchtturm aus erfreut man sich eines fabelhaften Blicks über diesen Meereseinschnitt. Auf der Rückfahrt von der Halbinsel bietet sich zur Abwechslung dann der gut ausgebaute TOURIST DRIVE an. Er führt oberhalb der Küstenstraße rund 20km durch das Bergland mit ständigen Ausblicken auf den Meeresarm. Diese fast schon paradiesischen Anblicke lassen die vorherige  Beklommenheit bald verblassen.