Das Tor zur Ostküste ist aufgestoßen. THE ENTRANCE als Eingangsort besichtigt und über die Menschenmassen gestaunt. Es sind die Osterfeiertage bei angenehmen Temperaturen, die die Großstädter an die Küste ziehen. Wir staunen, was die kleinen Küstenorte wie BUGDEWOI, BELMONT oder NELSON BAY an Menschenmassen aufsaugen. Von Gemütlichkeit ist nichts mehr zu spüren. Man tritt sich gegenseitig buchstäblich auf die Füße, wird durch Einkaufsstraßen geschoben und hat nicht selten Schwierigkeiten, im Café oder Restaurant einen Platz zu ergattern. Ostern als Peak Season mit dem passenden Preisniveau ist geradezu ausgebucht.
Bei den gut 2.000km Küstenstreifen bis hinauf nach CAIRNS läuft man ggf. schnell Gefahr, monokulturell dem fishing, boating und surfing das Wort zu reden. Glücklicherweise besteht die Küste nicht nur aus endlosen Stränden. In rascher Folge bewahrheitet sich der Titel dieses Abschnitts. Ein Nationalpark reiht sich an den anderen. Wohl jede Halbinsel bietet mindestens einen anfahrenswerten Lookout. Reichlich viele Kilometer fahren wir durch dichten native bush, oft auch Eukalyptuswald. Hier geht es gelegentlich etwas ruhiger zu. Doch sämtliche Campingplätze in den Parks sind ebenfalls voll belegt. Da zahlt es sich wieder einmal aus, dass wir freedom camping bevorzugen und nicht auf diese Einrichtungen angewiesen sind. An den Stränden sehen wir zwar häufig Schilder mit no overnight camping oder Parkverbot zwischen 22Uhr und 05Uhr. Doch ein ruhiges Eckchen findet sich immer, vielfach an Sportplätzen.
Und wem es zu hektisch wird, der weiche ins Hinterland aus, in die Berg- und Hügellandschaft der Great Dividing Range. Hier gibt es immer kleine Sightseeing-Perlen zu entdecken.
Diese Meeres(Massen-)tourismusidylle wird gut 150km nördlich von THE ENTRANCE unterbrochen durch die Hafenstadt NEWCASTLE. Die Ölindustrie prägt den Anblick der einen Stadthälfte. Die andere lohnt eher für einen Rundgang. Die Seepromenade an der Wharf bietet sich ebenso an wie das supermoderne, neue Stadt- und Szeneviertel Honeysuckle. An drei Stadtstränden kann man sich räkeln. Die Stadtparks schauen bunt und einladend aus.
Uns zieht es weiter gen Norden. Gleich hinter NEWCASTLE ragt eine erste große Halbinsel ins Meer, Port Stephens. Als Hauptziel steuern wir den Worimi National Park an, denn er soll die größte Wanderdüne der Südhalbkugel beherbergen. 35km in der Länge und teilweise bis zu 3km in der Tiefe stehen unter Nationalparkschutz. Schon bei der Anfahrt sehen wir die goldenen Sandberge durch Bäume und Büsche schimmern. Obwohl so gut wie überhaupt nicht ausgeschildert, wundern wir uns dann später über den immensen Besucherandrang, meistens per Quad oder Allradfahrzeug. Des Rätsels Lösung findet sich schlicht darin, dass man große Dünen- und Strandabschnitte für „Abenteurer auf 4 Rädern“ zum Befahren freigibt. Kommerzielle Anbieter organisieren Quadfahren in Gruppen auf ausgewiesenen Rennstrecken. Der Rest bewegt sich frei im Gelände. Naturschutz mal anders! Um die unweigerlichen Beeinträchtigungen der Natur später wieder reparieren zu können, wird ein Eintrittsgeld von 10AUD (ca. 7€) pro Fahrzeug erhoben. Das klingt eher nach Ablass als nach wirklicher Schadensregulierung.
Aber so laut, geruchsintensiv und turbulent geht es nicht in jedem Nationalpark zu. Viel gelassener und ruhiger präsentiert sich später dann der Myall Lake National Park. Um die Intensität dieses Quasiurwaldes mit seinen großen Seen in sich aufnehmen zu können, bieten sich die Küstennebenstraßen, weg vom Pacific HWy an. Dabei fahren wir oft auf schmalen Landstreifen zwischen Meer und See, mal auf geteerter Straße, kürzere Abschnitte auch auf Sandwegen.
Unterwegs treffen wir wieder einmal auf unsere „Schlafmützen“, die Koalas. Im Touristenort HAWKS NEST lebt eine städtische Koalakolonie in den dortigen Parks und Conservation Areas. Den Trubel um sie herum verschlafen sie einfach.
Die Küstenroute Central Coast, der wir aktuell folgen, wird auch als classic route bezeichnet. Klingt gut, doch was verbirgt sich hinter der Bezeichnung? Wer könnte es besser erläutern als ein australischer Insider. Somit überlassen wir einmal kurz dem Reiseschriftsteller Anthony Ham das Wort, wenn er schreibt: „Diese Route ist so etwas wie ein Ritual für Reisende aller Altersstufen. Für die jungen Universitätsstudenten, die nach dem ewigen Sommer und dem aufregendsten Wellengang fürs Surfen suchen. Ihnen folgt das mittlere Alter, also alle diejenigen, die entweder kurz vor der Midlife Crisis oder bereits mitten drin stecken. Sie klammern sich an ihre Surferinnerungen aus früheren Jugendtagen. Und schließlich für die „grauen Nomaden“, die die Straße ihr Zuhause nennen. Sie alle kommen hierher wegen des Wildlife in den National Parks und Conservation Areas, wegen der Ursprünglichkeit der Natur und nicht zuletzt wegen der endlos scheinenden Strände.“
In dieser Definition findet sich bestimmt jeder wieder. Wir jedenfalls auch!
Verlassen wir einmal die Küste, vermeiden den Trubel und nehmen einen Umweg ins „Hinterland“. Dieser Begriff wird übrigens auch im australischen Englisch benutzt, besonders gern im Zusammenhang mit größeren Städten, z.B. The Hinterland of NEWCASTLE.
Wir steuern hier die Barrington Tops mit dem entsprechenden National Park an. Rund 100km liegt die Bergregion von der Küste entfernt. Grüner, dichter Eukalyptuswald schmückt die bis zu 1.400m hohen Berghänge. Wieviel Wert dieser Landschaftstyp besitzt, zeigt sich nicht zuletzt am Status als UNESCO Weltnaturerbe. In die Tiefe der Täler führen ausschließlich Sandstraßen für Allradfahrzeuge. Parkplätze an den Parkrändern ermutigen zum Wandern. Der Zugang in den Park ist problemlos, wie auch in viele weitere Naturparks. Kein Kassenhäuschen regelt die Einfahrt. Doch ist ein Besuch und / oder die Benutzung eines Naturcampingplatzes innerhalb nicht für umsonst. Tickets, permits genannt, müssen vorher online gekauft und sichtbar an der Windschutzscheibe ausgelegt werden. Wer ohne permit angetroffen wird, darf sich auf eine hohe Gelstrafe gefasst machen. 200AUD (rund 140€) sind die Regel, also ein hohes Risiko im Vergleich zum moderaten Eintrittspreis von 8-10AUD (ca. 5€ – 8€).
Verstreut, in ländlicher Idylle liegen kleine Dörfer, welche das touristische Küstengewühl niemals geküsst hat und wohl auch nicht küssen wird. In einem dieser einsamen Gemeinden, DUNGOG, sticht uns ein Plakat ins Auge: RODEO. Schnell nach Ort und Termin erkundigt, haben wir Glück: Es findet in diesem Dorf am gleichen Tag, dem Ostersamstag statt. Gönnen wir uns also eine Rodeo-Pause. Als Veranstaltungsareal machen wir schnell den showground aus. Man könnte ihn auch als Ausstellungsfläche für Landwirtschaftsmessen bezeichnen. Ein benachbartes riesiges Tal wurde zur Arena umgestaltet. Als Parkplätze dienen die nebenan liegenden Wiesen der Farmer. Mit 15AUD p.P.(10€) sind wir dabei. Dieses Eintrittsgeld gilt auch gleichzeitig als fund raising für den örtlichen Lions Club. Keine extra Parkgebühr. Obendrein werden wir noch gefragt, ob wir hier auch übernachten wollen. Besser geht es nicht, und so stellen wir uns auf die für Wohnmobile reservierte Übernachtungswiese. Ohne Aufpreis!
Als wir am frühen Nachmittag dort eintreffen, ist das Spektakel bereits seit 11 Uhr voll im Gange. Die eigentliche Rodeoarena hat die Ausmaße eines Fußballfeldes. Die Rodeostimmung gleicht der eines Wildwestfilms. Beinharte Cowboys, charmante, in enge Jeans gezwängte Cowgirls, und Kinder allen Alters wuseln durch die Menge. Bei der Gefährlichkeit dieses Sportturniers könnte man an erhöhte Sicherheitsmaßnahmen denken. Doch es stört niemanden, wenn die Kinder über den Absperrzaun klettern und direkt bis zu den Arenagittern vordringen, bis dorthin, wo sie dann mit Pferd oder auch Stier Auge in Auge sich gegenüber stehen.
Das gesamte Rodeo dauert von 11Uhr bis 23 Uhr ohne größere Pausen. Ein Schnitt erfolgt gegen 18Uhr, nachdem die Jugendwettkämpfe und die Ausscheidungsvorrunden abgeschlossen sind.
Das Ganze hat nichts mit einem Reitturnier europäischer Gangart zu tun. Hier gilt es, auf noch nicht zugerittenen Pferden möglichst lange im Sattel zu bleiben. Die Steigerung erfolgt dann ohne Sattel / Bareback. Als Krönung setzen sich die Cowboys schließlich auf den Rücken eines wilden Stieres. Diese lassen sich gar nicht erst satteln. Die Verweildauer der Reiter auf den Pferde- bzw. Stierrücken ist kurz. Wer 8Sek (!) durchhält, kommt eine Runde weiter. Die Reihen der Wettkämpfer lichten sich sehr schnell. So mancher verlässt humpelnd oder gestützt den Platz. In einem Fall ist der Einsatz eines Krankentransports mit Blaulicht von Nöten, da ein Stier auf seinem Reiter herumgetrampelt hat.
So kurz die Reitzeit auf einem Stierrücken ist, so lange dauert es bisweilen bis das erzürnte Tier die Arena wieder zu verlassen gedenkt. Denn einen Bullen kann man nicht einfach an den Zügeln packen und hinaus führen. Mit viel clownesker Akrobatik versuchen mehrere Cowboys das Tier durch ein Ausgangsgatter zu locken. Allerlei rote, flatternde Tücher sollen es locken. Doch etliche Male hilft den Mutigen, unter dem vergnügten Gejohle der Zuschauer, nur noch ein rettender Sprung auf das Absperrgitter, um nicht von Stierhörner aufgespießt zu werden. Wenn das alles keinen Erfolg zeitigt und der Kampfstier die Kampfarena immer noch nicht verlassen möchte, wird „Opa“ in die Arena gelassen. Hierbei handelt es sich offensichtlich um ein älteres Leittier, welches es immer wieder irgendwie schafft, den jungen, kampfeslustigen Artgenossen aus der Arena zu führen.
Nachdem wir uns und die anderen 2.000 Zuschauer sich zwischendurch an den zahlreichen Imbiss- und Getränkeständen auf ländlich-fleischige, derb-schmackhafte Art genüsslich stärken konnten, geht es im Abendprogramm dann erst richtig los. Eingeleitet wird die Abendvorstellung durch Dressurreitvorführungen des örtlichen Pferdeclubs, gefolgt vom Singen der australischen Nationalhymne. Doch danach geht es zur Sache, schon unter Flutlicht.
Die Sieger der Vorrunden haben neue Kräfte und neuen Mut für die Finalrunden gesammelt. Völlig andersartige Wettkampfarten vervollständigen das Programmmenü. Für Reiterinnen wird das sogenannte Barrel Race aufgerufen. Dabei müssen Mensch und Pferd möglichst schnell einen Parcour aus drei Fässern umrunden. Unter 20Sek pro Runde ist rekordverdächtig.
Handfester gestaltet sich dann für Reiterinnen wie Reiter das sogenannte Team Roping. Dabei muss ein Jungstier aus vollem Ritt per Lasso von zwei Teilnehmern zunächst an den Hörner, dann an den Hinterläufen gefangen und zu Fall gebracht werden. Bei der Kürze der Strecke und nur einem Versuch gelingt das nicht allzu häufig.
Als für das Publikum begeisternder Höhepunkt erweist sich das Steer Wrestling. Zwei Reiter stieben gleichzeit in die Arena. In deren Mitte läuft ein mittelgroßer Stier. Ein Reiter muss nun versuchen, den Stier bei den Hörnern zu packen und ihn auf den Rücken zu drehen. Wohlgemerkt, alles in vollem Galopp und nichts für zarte Seelen. Schnell schälen sich die örtlichen und regionalen Matadore heraus. Ein Siegeskranz und sicherlich auch die Herzen vieler Cowgirls sind ihnen gewiss.
Osterrodeo mitten auf dem Lande! Unvermutet erleben wir ein Stück typisches Australien.
Nach himmlischer Nachtruhe auf Farmers Wiese kehren wir am folgenden Tag allmählich zurück an die Küste.
Im Booti Booti National Park suchen wir in dem Dorf PACIFIC PALMS The Green Cathedral auf. In einem dichten Palmenwald, dessen Baumkronen den beschaulichen Ort wie ein Kathedralgewölbe überdachen, wirkt eine lutherische Freiluftkirche am Ufer des Lake Wallis. Außer für den regelmäßigen Sonntagsgottesdienst, dient diese Kirche auch als Stätte für besondere Anlässe wie Hochzeiten. Wer das Außerordentliche liebt, die Telefonnummer für Buchungen gibt es im Internet. Den Fitnessgrad seiner (Hochzeits-) Gäste kann man dann einige Kilometer nordwärts am Cape Hawke testen. Unendlich viele steile, ausgetretene Balkenstufen klettern hinauf auf das Kap. Für die Rundumsicht auf den Südpazifik und die nahe gelegene Stadt FORSTER heißt es dann noch einmal 16m auf den Aussichtsturm hinauf zu klettern. Die Mühe lohnt!
Von dort oben stecken wir schon einmal die kommenden Ziele ab. Eigentlich ganz einfach: immer weiter geht es nordwärts, zunächst nach PORT MACQUARIE bis hin zur State Border zwischen New South Wales und Queensland. Darüber berichten wir dann im folgenden Kapitel.